August Vetter

Namensgeber unserer Schule

Leben und Werk

August VETTER wurde am 19. Februar 1887 in Elberfeld als ältestes von neun Kindern geboren. Seine Jugend war geprägt durch den frühen Tod seiner Mutter und eine materielle Familiensituation, die eine höhere Schule und Hochschulausbildung nicht ermöglichte. An der Kunstgewerbeschule in Elberfeld absolvierte er eine Ausbildung als Graphiker und Zeichner. Bis gegen Ende des ersten Weltkrieges war die Tätigkeit im künstlerischen Gewerbe die berufliche Grundlage zur Sicherung des Lebensunterhaltes.

 

1912 wird er durch ein Privatstudium zum Hörer der Universität München zugelassen. Er belegt die Fächer Philosophie und Psychologie. 1913 nimmt der Diederichs Verlag sein Erstlingswerk "Die dämonische Zeit" an, eine Abhandlung über die Relation von Raum und Zeit, unter gleichzeitiger Auseinandersetzung mit diesbezüglichen Auffassungen KANTs und BERGSONs.

 

Nach einer Veröffentlichung über NIETZSCHE (1926) für die "Geschichte der Philosophie in Einzeldarstellungen", hrsg. von Gustav KAFKA und einer Monographie über KIERKEGAARD mit dem Titel: "Frömmigkeit als Leidenschaft" (1928), wird er aufgrund der Befürwortung durch Gustav KAFKA 1930 zum Ehrendoktor der Tech­nischen Hochschule Dresden ernannt.

 

1932 bietet KAFKA ihm die Mitarbeit in seinem Institut an. Aus dieser Zeit resultiert eine enge Beziehung zu Philipp LERSCH, der zu der Zeit ebenfalls mit KAFKA in Dresden zusammenarbeitet.

 

1933 erscheint das kulturgeschichtliche Werk: "Mitte der Zeit - die Geschichtlichkeit des Geistes im Lichte der Menschwerdung Gottes". Im Gegensatz zum Bildgedanken einer ewigen Wiederkunft bei NIETZSCHE unterscheidet sich der Grundgedanke dieses Werkes durch seine Bindung an die christliche Zeitwende und ihren Anspruch auf Einmaligkeit. Die christliche Offenbarung steht dabei nicht im Gegensatz zur übrigen Geistesgeschichte; vielmehr bildet sie den Kern derselben, von dem diese ihren eigentlichen Sinn erhält. Ebenfalls 1933 wird VETTER wegen nichtarischer Versippung aus dem Hochschuldienst entlassen.

1934 gelingt es Felix KRUEGER, VETTER eine freigewordene Assistentenstelle in Leipzig zu übertragen. Diese Zeit ist gekennzeichnet durch die Zusammenarbeit besonders mit Ehrig WARTEGG, Albert WELLEK und Johannes RUDERT. 1939 muss VETTER auf Druck der Nazis die Hochschule wieder verlassen. Sein Habilitationsgesuch mit der Habilitationsschrift "Die Erlebnisdeutung der Phantasie" bleibt unbeantwortet.

 

Durch Vermittlung des Psychiaters Hans v. HATTINGBERG, der ihn Jahre zuvor in die noch junge Psychotherapie eingeführt hatte und mit dem ihn eine enge Freundschaft verbindet, erhält er eine Dozentur für charakterologische Begutachtung am Institut für psychologische Forschung und Psychotherapie in Berlin - damals eine Zufluchtstätte für verfemte Lehrkräfte. Er arbeitet dort zusammen mit Johannes H. SCHULTZ, Gustav R. HEYER und Werner W. KEMPER.

 

Von 1940 bis 1944 ist er als wissenschaftlicher Berater der IG-Farbenindustrie in Frankfurt/M. tätig und setzt Schwerpunkte in der Fortentwicklung psychologischer Eignungsuntersuchungen für Betriebsmeister und in der Durchführung von Beratungskursen.

 

Nach dem Krieg wird er auf Vorschlag von Philipp LERSCH 1946 zum Honorarprofessor für Psychologie an der Universität in München ernannt.

 

1949 veröffentlicht er "Natur und Person". In diesem Werk unternimmt er im ersten Teil die Erschließung der leiblichen Natur des Menschen bis zur Neuzeit, während der zweite Teil der erscheinungswissenschaftlichen Thematik im engeren Sinne nachgeht. Ausgangspunkt ist die physiognomische Deutung der aufgerichteten Bildgestalt des Menschen, die ihn raumsymbolisch in seinem Leibesbau fundamental vom Tier unterscheidet. Die Tektonik des personalen Gefüges, hier grundgelegt, findet in der "Personalen Anthropologie" (1966) ihre abschließende Ausformung. Schwerpunkte liegen dabei auf der Instinktenthebung des Menschen und dem sich daraus ableitenden Sinnbezug unserer Existenz zur Transzendenz. Die personale Bindungsmitte des Gefühls in der Kernspannung von Gemüt und Gewissen findet hier die ihrer herausragenden Bedeutung gemäße Würdigung.

 

Mit seiner geistesgeschichtlichen und erscheinungskundlichen Begründung der personalen Anthropologie, in der Erkenntnisse der Ausdruckspsychologie (Ludwig KLAGES) und der Tiefenpsychologie (bes. Carl Gustav JUNG) fruchtbar miteinander verbunden werden, ist VETTER zum Begründer der Anthropognomik geworden.

Seine in der Geistesgeschichte fundierten Erkenntnisse haben in den biologischen Forschungsergebnissen von Adolf PORTMANN bemerkenswerte Parallelen gefunden.

 

1962 wird VETTER im Wiedergutmachungsverfahren auf Beschluss des Bundesinnenministeriums zum ordentlichen emeritierten Professor ernannt.

 

In seiner letzten Veröffentlichung "Die Zeichensprache von Schrift und Traum" (1970) erarbeitet VETTER dem Titel folgend einen übergreifenden Gesichtspunkt für das diagnostische Verständnis dieser beiden urtümlichen menschlichen Äußerungsformen.

 

August VETTER ist am 15. Oktober 1976 im 90. Lebensjahr in Ammerland am Starnberger See gestorben.

 

1977 ist posthum das 1923 erschienene Buch: "Kritik des Gefühls" in 2. Auflage von Johannes TENZLER herausgegeben worden. VETTER hat dieses Werk in den letzten Jahren seines Lebens noch einmal völlig überarbeitet. In seiner Fragestellung nach dem humanen Selbstverständnis findet in diesem Werk der 'Umriß einer Anthropognomik', der in der Untersuchung "Natur und Person" ausgearbeitet worden ist, seine Vorbereitung.

 

Dr. K. Overbeck

 

 

Auswahl aus den Veröffentlichungen

 

Kritik des Gefühls
Prien: Kampmann & Schnabel, 1923 / Paderborn: Schöningh, 1977, 2. völlig veränderte Auflage

Nietzsche
München: Reinhardt, 1926 (in G. KAFKA: Gesch. Phil. Einzeldarst., Bd. 37)

Frömmigkeit als Leidenschaft. Eine Deutung KIERKEGAARDs
Leipzig: Insel, 1928 (2. Aufl., Freiburg i.Br.: Alber, 1963)

Mitte der Zeit. Die Geschichtlichkeit des Geistes im Licht der Menschwerdung Gottes
Kampen: Kampmann, 1933 (2. Aufl., Freiburg i.Br.: Alber, 1962)

Natur und Person. Umriß einer Anthropognomik
Stuttgart: Klett, 1949

Die Erlebnisbedeutung der Phantasie
Stuttgart: Klett, 1950

Wirklichkeit des Menschlichen. Lebensfragen unserer Zeit
Freiburg i.Br.: Alber, 1960

Personale Anthropologie. Aufriß der humanen Struktur
Freiburg i.Br.: Alber, 1966

Die Zeichensprache von Schrift und Traum. Einführung in die anthropologische Diagnostik
Freiburg i.Br.: Alber, 1970